Beschreibung
"Sie kam aus Mariupol" – die Nöte von aus Russland oder der Ukraine nach Deutschland emigrierten Frauen prägen Wodins Werk.
Natascha Wodin wurde 1945 als Kind verschleppter Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion in Fürth geboren. Ihre Prosa steht im Zeichen der Aufarbeitung traumatischer Erlebnisse und historischer Tabus. Die Autorin thematisiert die Sehnsucht nach Zugehörigkeit, die Entdeckung der Herkunft, die Diskrepanz zwischen innerer und äußerer Wirklichkeit und ihre Überwindung. "Ich schrieb, weil ich nicht leben konnte", heißt es im Roman "Nachtgeschwister". Die Protagonistinnen Wodins sind benachteiligte, aber starke, lebensbejahende Frauen, ihre Schicksale berühren und ergreifen.
Die Beiträge des Heftes untersuchen die vielseitigen thematischen Aspekte im literarischen Schaffen der Autorin. Im Mittelpunkt stehen die Aufarbeitung der Wende und die Ost-West-Dichotomie, Ausgrenzung und Resilienz, Zeitgeschichte und kulturelles Gedächtnis. Die Thematisierung von Intertextualität und Übersetzung ermöglichen Einblicke in die Schreibverfahren Wodins und machen neue Verknüpfungen und Dynamiken innerhalb der Texte sowie die lyrischen Verfahren der Verdichtung und Verschränkung sichtbar.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
Natalia Blum-Barth
"[G]efangen in der Unvereinbarkeit [...] von Literatur und Leben"
Einige Bemerkungen zum Werk von Natascha Wodin
Helmut Böttiger
Ukrainische Regentropfenprélude
Natascha Wodins deutsch-slawische Grenzverschiebungen
Lucia Perrone Capano
In "einem nie geträumten Bild aus Ost und West"
Bewegungsräume im Werk von Natascha Wodin
Hans-Christian Trepte
Natascha Wodin und Wolfgang Hilbig
Zur literarischen Zweisamkeit in der deutschen Einheit
Natalia Blum-Barth
"[D]ie geheimnisvolle Geschichte von der gläsernen Stadt"
Intertextualität und Historizität im Leben und Werk von Natascha Wodin
Natalia Blum-Barth / Chrystyna Nazarkevytch
Das Verborgene sichtbar machen
Ein Interview mit der Übersetzerin des Romans "Sie kam aus Mariupol" ins Ukrainische
Jörg Magenau
Natascha Wodin: eine Berichterstatterin von schmerzlicher Genauigkeit
Auswahlbibliografie
Notizen
Rezensionen
Wer genauere Auskunft über das tragische Leben der Natascha Wodin wünscht, bevor er sich auf die Beiträge zu verschiedenen Aspekten ihres literarischen Werkes einlässt, sollte vielleicht mit der den Band beschließenden Laudatio zur Verleihung des Gisela-Elsner-Preises 2021 von Jörg Magenau beginnen. Dass Wodin „keine Erfinderin von Ereignissen, sondern eher eine Aufzeichnerin auch der eigenen Lebensgeschichte“ ist, wird darin festgestellt. Dies impliziert für Magenau auch, dass man sich der Erzählwelt der heute 79-Jährigen besser mit dem Begriff der ‚Autofiktion‘ als mit dem der ‚Autobiographie‘ annähern kann. Denn „erst wenn es erzählt wird, wird das Erlebte zu einem Leben und, indem es erzählbar geworden ist, von seiner bloßen Ereignishaftigkeit erlöst.“
Schreiben um zu leben, Dietmar Jacobsen, literaturkritik.de