Beschreibung
"Hipster, Gangster, Femmes Fatales" – Diese erste deutschsprachige Darstellung des Jazz in der Filmmusik erzählt von verblüffend modernen multimedialen Experimenten der Stummfilmzeit und vom hedonistischen Slapstick der Roaring Twenties, von anarchischen Cartoons, luxuriösen Musical-Exzessen und den Abgründen des Film noir, von den "funky" Soundtracks des Exploitationfilms und dem frühen Actionkino.
Popkulturelle Ikonen wie Betty Boop und die Beatniks, der "Taxi Driver" und Lisa Simpson bevölkern eine Geschichte, die zeigt, wie tiefgreifend afroamerikanische Musik Mentalitäten, Stile und Geschichte von Kino und Popkultur im 20. Jahrhundert geprägt hat. Zwischen Musik-, Film- und Kulturwissenschaft, Semiotik und Soziologie verdeutlicht die Betrachtung des Jazz als Filmmusik die interkulturellen Mechanismen der Pop- und Unterhaltungskultur der letzten 100 Jahre.
Über 500 knapp und unterhaltsam zusammengefasste Filme und zahlreiche Notenbeispiele entschlüsseln eine Mentalitätsgeschichte des 20. Jahrhunderts zwischen Sex und Gewalt, Komik und Kreativität, Exotik und Rassismus, Kunst und Unterhaltung.
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
I Theorie und Methodik
- I.1 Forschungsstand und Forschungsthema
- I.2 Jazzdefinition im Kontext der Medien
- I.3 Interdisziplinäre Fragen der Filmmusikforschung
- I.4 Ein theoretisches Modell (film-)musikalischer Semantik
- I.4.1 Entstehung und Erfassen von Bedeutung während der Filmmusikrezeption
- I.4.2 Filmmusik und Film als semantischsemiotisches System
- I.4.3 Erweiterter Neoformalismus, semiotische Theorie der Repräsentation und Signifyin'
- I.5 Methodik
- I.5.1 Primärquellen und Syntax
- I.5.2 Kontextanalysen und Sekundärquellen
- I.5.3 Funktionsanalysen und Hypothesen
II Jazz und früher Stummfilm
- II.1 Filmvorführung und Musik von 1890 bis 1912: Eklektizismus und Diversität
- II.2 Frühe Jazzkultur im Film und jazzige Begleitmusik
- II.2.1 Minstrelsy, Cakewalk, Coon-Songs und frühe Cartoons
- II.2.2 Der Ragtime-Boom
- II.2.3 Exkurs: Früher Jazz im Kontext von Rassismus
- II.3 Jazz und die Standardisierung der Filmmusik ab 1910
- II.3.1 Funktionalisierung des Jazz in Cue-Sheets und Kompilationen
- II.3.2 Jazz und Komödie
- II.4 Jazz, Ragtime und Blues als subversive Praxis in afroamerikanischen Filmtheatern
III Exzess, Emanzipation und Kunst im Jazz Age
- III.1 Soziologie der amerikanischen Jazzkulturen und ihre Rezeption
- III.2 Die Jazzkulturen im Film
- III.3 Jazz als Inspiration der Moderne: die europäische Filmavantgarde
IV Jazz und der frühe amerikanische Tonfilm
- IV.1 "The Jazz Singer", "King of Jazz" und musikalische Kurzfilme: die Kreation amerikanischer Identität zwischen Minstrel und Moderne
- IV.2 Shorties: der afroamerikanische Symphonic Jazz, die Harlem Renaissance und das visuelle Gedächtnis des Hot Jazz
V Das jazzige Hollywood-Musical
- V.1 Musical und Jazz als ökonomische Unternehmen in den 1930er Jahren
- V.2 "42nd Street" oder der Geist des Jazz Age
- V.3 "Top Hat" oder die swingende amerikanische Heterosexualität
- V.4 "Hallelujah!": Blackness, Spiritualität und Jazz
VI Der Swing Craze
- VI.1 Die filmische Vermarktung des Swing
- VI.2 "War-Toons" und die "Censored Eleven": Swing-Cartoons als Propagandavehikel im Krieg
- VI.3 Motive im Swing-Biopic
VII Deutscher Exkurs: Jazz und Ideologie im swingenden Schlagerfilm
- VII.1 Filmjazz in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus
- VII.2 Jazz im west- und ostdeutschen Film der 1950er und 1960er Jahre
VIII Die Stadt, der Sex und der Rausch: Film noir, sozialer Problemfilm und der "Hollywood Jazz" der 1950er Jahre
- VIII.1 Soziale, kulturelle und ökonomische Umbrüche
- VIII.2 Jazz-Tropen in Film noir und sozialem Problemfilm
- VIII.2.1 Die Stadt
- VIII.2.2 Die Sexualität
- VIII.2.3 Aggression, Delinquenz und Schmerz
- VIII.2.4 Drogenkonsum und Rausch
- VIII.2.5 Musikalische Tropen als Mythos und Klischee
- VIII.3 Der Jazzmusiker als (Anti)held und Jazz als Kunst
- VIII.4 Der Hipster
IX Die Etablierung des Jazz in der Filmmusikkomposition
- IX.1 Henry Mancini und der Crime-Jazz
- IX.2 Space-Age-Jazz und der Swinging-Bachelor
- IX.3 Die Nouvelle Vague und europäische Jazzsoundtracks
X Action, Horror, Porno und Science-Fiction: Jazz im Genre-Kino
- X.1 Action-Jazz
- X.2 "Jazz-ploitation": Übersteigerung und Auflösung der Jazzsemantik
- X.2.1 Blaxploitation, Gewalt und Horror
- X.2.2 Die Sexwelle: vom Striptease zum Hardcore-Porno
- X.2.3 Science-Fiction-Jazz
XI Jazz-Cartoons: Carl Stalling, Raymond Scott und Jazz als postmodernes Konzept
XII Abstraktion und absolute Nähe: Experimentalfilm und Dokumentation
- XII.1 Absoluter, Abstrakter und Experimenteller Film
- XII.2 New American Cinema und die Improvisation
- XII.3 Die Suche nach dem Moment: Direct Cinema und Dokumentarfilm
XIII Bedeutungsverlust und Verdichtung der Klischees: Jazz im Film seit den 1980er Jahren
- XIII.1 Jazz als Signifikant für Urbanität, Erfolg und Intellekt
- XIII.2 Das Erbe des Film noir
- XIII.3 Komödie, Witz und Cartoons
XIV Conclusio: Jazz in Film und Filmmusik als Spiegel sozialer und ästhetischer Entwicklungen
- Quellenverzeichnis
- Literaturliste (inkl. Noten und Online-Dokumente)
- Internetquellen (Websiten, Webvideos, Webforen etc.)
- Sonstiges
- Gemälde
- Diskografie
- Songs
- Glossar
- Filmografie (inkl. TV-Serien und Serienepisoden)
Rezensionen
"Ein Muss: Nirgends gab es bisher eine so detaillierte und vollständige Übersicht über Jazz in der Filmmusik."
neue musikzeitung nmz, Nr. 4/2016
"Mit seiner 'kineastischen Kulturgeschichte' hat Konstantin Jahn ein längst überfälliges Buch geschrieben, dessen plastische und angenehm zu lesende Sprache es auch für den bloßen Film- oder Jazzliebhaber zur anregenden Lektüre machen dürfte."
socialnet.de, 12.5.2017
Leseprobe
Der Wolf will in die Band der Schweinchen einsteigen, doch seine dilettantischen Improvisationen verärgern das schicke Publikum: »Throw that square out!«
Im Kontext dieser elitären Kultur diskreditiert sich der Wolf als ›square‹, da er unangemessen gekleidet ist und sich Noten aufs Pult legt. Die Musik der Schweinchen – komponiert und eingespielt von Shorty Rogers – ist kein afroamerikanisch geprägter Bebop, sondern ein schneller Blues mit West-Coast-Jazz und Rock’n’ Roll-Einflüssen. Immer wieder versucht der Wolf, den Club mit seinen lärmenden Klängen zu zerstören, bis er sich selbst in die Luft sprengt und in der Hölle landet. Erst dort lernt er richtig zu spielen – nämlich im Sinne des weißen West-Coast-Jazz. Zynisch kommentieren die Schweinchen: »Ya gotta get hot, to play real cool.«