Beschreibung
"Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass Kraftwerk gar nicht wussten, wie wichtig sie für die schwarzen Massen '77 waren, als ihr 'Trans Europa Express' rauskam. Ich dachte sofort: Das ist eine der irrsinnigsten und besten Platten, die ich je gehört habe. [...] Was Computer und das Zeugs alles können!"
Diese Worte des US-amerikanischen DJ-Urgesteins Afrika Bambaataa reihen sich beispielhaft ein in den gegenwärtigen musikjournalistischen und -wissenschaftlichen Diskurs, welcher der Düsseldorfer Gruppe KRAFTWERK große historische Leistungen auf dem Feld der populären elektronischen Musik zuschreibt. Unbestritten dienen KRAFTWERK durch ihren musikalisch-technologischen Innovationsgeist bis heute unzähligen Musikschaffenden als Inspirationsquelle. Die bis dato allenfalls am Rande behandelte Frage, was das Besondere der Musik der Gruppe in kompositorischer und/oder klangästhetischer Hinsicht eigentlich ausmacht, ist Thema des Buches – wobei analog zum Mensch-Maschine-Konzept KRAFTWERKs die Wechselwirkung zwischen Komposition und Instrumentarium permanenter Gegenstand der chronologisch angelegten musikalischen Analyse ist.
Die bis heute andauernde Karriere der Gruppe umfasst einen Zeitraum von nunmehr über 50 Jahren. Das Buch ist dadurch nicht nur eine Abhandlung über KRAFTWERK, sondern ebenso ein umfassendes Dokument sowohl der Entwicklung der Studiotechnik als auch der Entwicklung der populären elektronischen Musik überhaupt.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Aufgabenstellung
1.2 Quellensituation
1.3 Zur Problematik der musikalischen Analyse in der Popularmusik
1.4 Terminologische Unschärfe innerhalb der Popularmusik
2 Voraussetzungen
2.1 Krautrock – zur Situation der Rockmusik Ende der 1960er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland
2.2 Exkurs: Der Einfluss der Studiotechnik auf den Wandel des Stellenwerts des Parameters Sound
2.2.1 Die Entwicklung der Studiotechnik
2.2.2 Der spannungsgesteuerte Synthesizer und Switched-On Bach
2.3 Die Pioniere des Krautrocks
2.3.1 AMON DÜÜL
2.3.2 Die Kosmische Musik und das Ohr-Label von Rolf-Ulrich Kaiser
2.3.2.1 POPOL VUH
2.3.2.2 TANGERINE DREAM
2.4 Die Avantgarde vom Rhein – CAN und ORGANISATION
2.4.1 CAN – Krautrock Stockhausen'scher Prägung?
2.4.2 ORGANISATION – die musikalische Findungsphase von Ralf Hütter und Florian Schneider
2.4.3 Tone Float – Entstehung, Textur und Positionierung innerhalb der Musikgeschichte
2.4.4 Tone Float – musikalische Analyse
3 Experimentelle Phase – von Kraftwerk bis Ralf und Florian
3.1 Vorbemerkung
3.2 Voraussetzungen: Studiotechnik – Produzent
3.2.1 Studiotechnik als Klangfetisch – die Wertigkeit des Produzenten
3.2.2 Phil Spector – Erfinder des Wall of Sound
3.2.3 George Martin – Musiker und Produzent
3.2.4 Brian Wilson – Prototyp einer neuen Generation von Musikschaffenden
3.2.5 Joe Meek – Pionier des Homerecordings
3.2.6 Die deutsche Studiolandschaft in den 1960er Jahren – ein Kampf der Kulturen
3.2.7 Dieter Dierks – klangliches Aushängeschild deutscher Rockmusik
3.2.8 Conny Plank – Produzent und Mentor
3.3 Kraftwerk
3.3.1 Entstehungsprozess und musikalische Analyse
3.3.2 Blaupause des Industrials? – Einordnung im Kontext des Krautrocks und Vergleich mit THROBBING GRISTLE, FAUST und KLUSTER
3.4 Personelle Umbesetzung – KRAFTWERK und NEU!
3.5 Kraftwerk 2
3.5.1 Musikalische Analyse
3.5.2 Bedeutung und Wirkung
3.6 Exkurs: Stagnation und Bombast – der Beginn der 1970er Jahre in der populären Musik
3.6.1 Stilistische Entwicklungen in der Rock- und Popmusik in der ersten Hälfte der 1970er Jahre
3.6.2 Der Synthesizer im popmusikalischen Mainstream – Nischendasein als klangliches Additiv
3.6.2.1 Paul Beaver und Bernhard Krause – die Studioszene ab Ende der 1960er Jahre an der Westküste der USA
3.6.2.2 Keith Emerson – Instrumentalist und Klanggestalter in Personalunion
3.6.3 Der Synthesizer in der experimentellen Popularmusik – musikalisches Diktat durch neue Technologien?
3.6.3.1 WHITE NOISE – Vorgriff auf Sampling
3.6.3.2 TANGERINE DREAM und MOTHER MALLARD – Sequencing als kompositionsstiftendes Element
3.6.4 "Popcorn" – der Synthesizer erobert die Charts
3.7 Ralf und Florian
3.7.1 Übergang zu Synthesizer-Musik und Maschinengesang
3.7.2 Musikalische Analyse – neues Instrumentarium, neue Klänge
4 Elektronische Popmusik – von Autobahn bis Techno Pop/Electric Café
4.1 Autobahn
4.1.1 Einleitung
4.1.2 Text und Gesang
4.1.3 Musikalische Analyse – Produktion und Sound
4.1.4 Exkurs: Isao Tomita – Überfigur der subtraktiven Synthese
4.2 Radio-Aktivität
4.2.1 Einleitung und konzeptioneller Überbau
4.2.2 Musikalische Analyse – Komposition, Sound und synthetische Sprache
4.3 Trans Europa Express
4.3.1 Einleitung und konzeptioneller Überbau
4.3.2 Musikalische Analyse – der Sequenzer als Steuerungs- und Kompositionswerkzeug
4.4 Exkurs: Der Sequenzer erobert die Tanzfläche – Giorgio Moroder und der Disco-Sound
4.5 Die Mensch-Maschine
4.5.1 Konzept, produktionstechnische Voraussetzungen und neue Klänge
4.5.2 Musikalische Analyse im Vergleich: Moroder und KRAFTWERK – Technik als kompositorischer Nukleus?
4.6 Exkurs: Punk, New Wave und Synth-Pop – die Metamorphose des Sounds in der Popularmusik gegen Ende der 1970er Jahre
4.7 Computerwelt
4.7.1 Umbau des Kling Klang Studios – klangliche Evolution
4.7.2 Musikalische Analyse
4.7.3 Computerwelt-Tour
4.7.4 Computerwelt als Blaupause des Electros
4.7.5 KRAFTWERK – Urväter des Technos?
4.8 "Tour de France" und Techno Pop/Electric Café – der Übergang zur Digitalisierung der Studiotechnik
4.8.1 Exkurs: Sampling und FM-Synthese – die digitale Revolution der 1980er Jahre
4.8.2 Erste Demo-Versionen und die Single "Tour de France"
4.8.3 Exkurs: Der Popsound in der ersten Hälfte der 1980er Jahre
4.8.4 Techno Pop/Electric Café – weiterer Produktionsprozess und musikalische Analyse
5 Die 1990er Jahre – Stagnation und Rückzug
5.1 Exkurs: House und Techno – elektronischer Underground wird zum Massenphänomen
5.2 The Mix
5.2.1 Einleitung und konzeptioneller Überbau
5.2.2 Musikalische Analyse
5.3 Die Zeit nach The Mix – Rückzug aus der Öffentlichkeit
5.4 Die Computerisierung der Studiotechnik in den 1990er Jahren
5.5 "Expo 2000"
6 Vom Jahr 2000 bis zur Gegenwart – Mythos KRAFTWERK
6.1 Tour de France Soundtracks
6.1.1 Konzept
6.1.2 Musikalische Analyse
6.2 Minimum Maximum und Florian Schneiders Ausstieg
6.3 Die Kanonisierung des Oeuvres: Der Katalog
6.4 3-D Der Katalog und Remixes
7 Ausblick
Anhang
1 Bibliografie
2 Internetquellen
3 Diskografie
Danksagung
Rezensionen
"Dieses Buch ist das ideale Geschenk für musikgeschichtlich interessierte Technikfreunde oder für technikinteressierte Musikfreunde, für Synthesizer-Nerds, für Anhänger von Electro und Electro Funk und House und Techno, die wissen möchten, wovon sich diese Genres ableiten, für allgemein kulturgeschichtlich interessierte Klangkünstler, für Menschen, die den Autor begleiten möchten auf seiner spannenden Reise in eine Welt, wo Utopien noch möglich schienen, oder wie es 1986 bei KRAFTWERK hieß: 'Es wird immer weitergehen / Musik als Träger von Ideen'."
Manfred Miersch, info-netz-musik.de, 11.10.2023
"Reihenweise entlarvt Brocker viele Mythen, die sich um KRAFTWERK ranken. So räumt er radikal auf mit zahlreichen Unwahrheiten. Ebenso entwirrt er fachkundig, welche musikalische Leistungen auf KRAFTWERK-Alben eher epigonal und welche tatsächlich revolutionär waren.
Brocker diagnostiziert produktionstechnische Übereinstimmungen zwischen KRAFTWERK und anderen Krautrock-Bands, die viele Statements über das Alleinstellungsmerkmal KRAFTWERKs als PR entlarven. Besonders interessant wird es da, wo Brocker stillschweigende Übernahmen von Melodien aus Schlager oder Klassik für Kraftwerk-Stücke aufdeckt.
Brockers Studie untersucht zwei zentrale Fragen, die relevant sind für alle, die sich für elektronische Musik interessieren: Inwieweit kann man KRAFTWERK tatsächlich als Begründer der elektronischen Popmusik verstehen? Wären afroamerikanische Stile wie Electro, House und Techno ohne Kraftwerks Vorarbeiten möglich gewesen? Bisher waren zu diesen Streitfragen nur einseitige Geschmacksurteile, Fanmeinungen oder Schutzbehauptungen zu lesen. Brockers Studie liefert nun eine differenzierte, wissenschaftlich untermauerte Antwort."
Uwe Schütte, taz, 12.2.2024