Beschreibung
Von seinen Bewunderern als "Poet am Klavier" gerühmt, von anderen als "Kollaborateur" der deutschen Besatzungsmacht im Zweiten Weltkrieg gebrandmarkt: Alfred Cortot (1877–1962) gehörte jener Generation legendärer Pianisten an, deren Spiel unverwechselbar ist und Musiker und Musikliebhaber nach wie vor in seinen Bann schlägt.
Cortot war musikalischer Partner von Pablo Casals oder Wilhelm Furtwängler, Lehrer u.a. von Clara Haskil und Dinu Lipatti, Mitbegründer und Leiter der École Normale de Musique in Paris und Botschafter deutscher Musik in Frankreich wie auch französischer Musik in deutschsprachigen Ländern. Sein Spiel wurde als frei und impulsiv empfunden und war doch nicht willkürlich, sondern folgte einem Interpretationskonzept, das das Ergebnis genauester Forschungsarbeit war. Seinen Vorstellungen blieb Cortot treu – unabhängig von Zustimmung oder Ablehnung. Bei der Verwirklichung seiner kulturpolitischen Anliegen legte er dieselbe Beharrlichkeit an den Tag.
Das Buch beschreibt Leben, Karriere und Wirkungsgeschichte Cortots und bezieht dabei auch Zitate, Rezensionen, Augenzeugenberichte und Einschätzungen durch Nachgeborene mit ein. Die kritische Einordnung seines Engagements während Frankreichs "Finsterer Jahre 1940–1944" in die Zeitgeschichte mag helfen, zu einer neutralen Einschätzung der Tätigkeiten Cortots im Rahmen des Vichy-Regimes zu gelangen. Eine Repertoireliste und Diskografie ergänzen den Blick auf eine nach wie vor faszinierende Künstlerpersönlichkeit.
Die Reihe "SOLO – Porträts und Profile" lädt dazu ein, die Künstlerinnen und Künstler der "klassischen" Musik kennenzulernen. Erstmals auf dem deutschsprachigen Buchmarkt stehen hier internationale Interpretinnen und Interpreten des 20. und 21. Jahrhunderts im Mittelpunkt. Jedes Buch porträtiert in gut zugänglicher und kompakter Form eine Musiker-Persönlichkeit: Dirigentinnen und Dirigenten, Solistinnen und Solisten, Sängerinnen und Sänger. Biografie und Karriere werden ebenso vorgestellt wie wesentliche Merkmale des individuellen Musizierens. Eine Einordnung des künstlerischen Profils rundet die fundierten Darstellungen ab.
Die Autorinnen und Autoren der Reihe sind auf ihrem jeweiligen Gebiet ausgewiesene Fachleute und kommen aus Forschung und Praxis.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1.1 "...ein fügsames und gutmütiges Kind ..." (1877–1896)
1.2 "Ich selbst war Siegfried." (1896–1903)
1.3 Eine ganz und gar europäische Familie (1903–1914)
1.4 La Grande Guerre (1914–1918)
1.5 "Vollendung, die keine Grenzen der Herkunft mehr kennt." (1918–1933)
1.6 "... diese vermaledeite Politik" (1933–1938)
1.7 Liebe und Familienglück
2.1 Yvonne Lefébure: "Cortot, der Poet des Klaviers"
2.2 Ein Mosaik
2.3 Universales musikalisches Interesse
2.4 Interpretation "alla Cortot"
2.5 "Die blaue Note"
2.6 Der Zauber der Schrift
3.1 "Sitzkrieg" (1939/40)
3.2 Finstere Jahre (1940–1944)
3.3 Säuberungsverfahren (1944–1947)
3.4 "... wie eine Erscheinung aus einer fremden Welt." (1947–1962)
3.5 Nachklang
Anhang: Ausgewählte Texte von Alfred Cortot
I Hommage à Wilhelm Furtwängler
II Die geistige Einstellung des Interpreten
III Geschichtlicher Rückblick auf die musikalischen Begegnungen zwischen Frankreich und Deutschland
IV Der Einfluss von E. T. A. Hoffmann und Jean Paul auf die Klaviermusik Schumanns
V Pädagogische Prinzipien
Diskografie
Quellen und Literatur
Bildnachweis
Zeittafel
Dank
Personenregister
Rezensionen
"Alfred Cortot: Ein französischer Pianist, den viele Klassikliebhaber kennen, der Anfang des 20. Jahrhunderts vor allem die Musikszene in Frankreich sehr stark geprägt hat. [...] Ein großer, immer auch umstrittener Künstler mit einem sehr eigenen künstlerischen musikalischen Profil.
Dies ist kein Fachbuch, in dem seitenweise über Anschlagstechnik oder Pedalgebrauch gefachsimpelt wird. Es ist nachvollziehbar für einen musikinteressierten Klassikfreund im Allgemeinen. Spannend sind auch für einen Interpreten die Zeitläufte, die Anfechtungen, die Krisen, in denen er steckt – das wird von Anton Voigt nicht unter den Teppich gekehrt."
Rainer Pöllmann, Deutschlandfunk Kultur, 8.8.2024
"Das Buch überzeugt durch die intensive Quellen- und Literaturverarbeitung, die differenzierte Darstellung auch der problematischen Kontexte und die eindringliche Würdigung eines der großen Pianisten des letzten Jahrhunderts. Wenn schon die einschlägige französische Literatur in deutschen Bibliotheken nur sehr schwach repräsentiert ist, sollte dieser Band zur Standardausstattung auch kleinerer Bibliotheksbestände gehören. Als Hintergrund und Einordnung des reichhaltigen akustischen Angebots, das heute jedem zur Verfügung steht, und als wichtige Studie für die deutsch-französische Musik- und Zeitgeschichte des 20. Jh. ist dieser Band ein erstrangiges Informationsmittel."
Albert Raffelt, IFB
"Jetzt hat sich der österreichische Pianist und Musikvermittler Anton Voigt mit dem Phänomen 'Cortot' intensiv beschäftigt. Herausgekommen ist die erste umfassende deutschsprachige, ungemein lebendig geschriebene und faktenreiche Würdigung, bei der der Lehrer u.a. von Clara Haskil und Dinu Lipatti genauso Erwähnung findet wie der Teamplayer, der mit Pablo Casals und Jacques Thibaud ein Allstar-Trio bildete. Und selbstverständlich unterschlägt Voigt nicht das biografisch dunkelste Kapitel in Cortots Leben – nämlich dessen Kollaboration mit dem Vichy-Regime als Hoher Kommissar für die Schönen Künste."
Guido Fischer, RONDO, 4/2024