Beschreibung
Wie können Menschen nach 1945 wieder ins Gespräch kommen, wenn die einen Deutschland oder Österreich verlassen mussten, während die anderen geblieben sind und Schuld, direkt oder indirekt, auf sich geladen haben? Briefe waren häufig die einzige Möglichkeit, den Kontakt erneut herzustellen. Doch wer schreibt zuerst und an wen, und vor allem: was? Wie erkläre ich mich, mein Verhalten, meine Taten? Wie fällt die Antwort aus? Kommt es zu einer Wiederaufnahme an freundschaftlichen, kollegialen oder auch privaten Verbindungen, oder ist ein Band des Lebens (unwiderruflich?) zerschnitten? Während im ersten Band vorwiegend der Briefwechsel von Literaten vorgestellt wurde, sind es jetzt vor allem Sozial- und Geisteswissenschaftler, die zu Wort kommen und in einen Prozess des "diskursiven Aushandelns" (David Kettler) über das "richtige Verständnis" der Vergangenheit und eine mögliche gemeinsame Zukunft eintreten. "Nach dem Krieg – Nach dem Exil" liefert dazu sowohl theoretische Rahmungen als auch Fallstudien prominenter, aber auch weniger bekannter Personen, die zeigen, was es heißt, im Medium der Sprache wieder Verständigung herzustellen. Zu den Stimmen, die den brieflichen Dialog führen, gehören u. a. Hans-Georg Gadamer, Leo Strauss, Eric Voegelin, Hannah Arendt, Herbert Marcuse, Martin Heidegger, Siegfried Kracauer, Ernst Fraenkel, Alfred Kantorowicz, Hans Gerth, Otto Kirchheimer, Johannes R. Becher, Karl Wolfskehl, Luis Trenker, Paul Kohner und Ernst Bloch.
Erste Briefe /First Letters sind Dokumente der Wiederaufnahme von Kontakten zwischen ExilantInnen und früheren Bekannten und KollegInnen, die 1933/38 in NS-Deutschland bzw. Österreich geblieben sind. Sie verhandeln nicht nur die Frage einer eventuellen Rückkehr, sie thematisieren zugleich und wesentlich die Bedingungen, unter denen ein Gespräch möglich erscheint, zeigen die Erwartungshaltungen beider Seiten auf und ob bzw. wie sich diese weiterentwickelt haben. Insofern verstehen sie sich auch als Reflexionen über den Status der Vertreibung, der Entwurzelung, möglicher Re-Lokalisierung durch Immigration und Akkulturation und sprechen die Problematik der "Inneren Emigration" bis hin zur kollaborativen Verstrickung an. Inspiriert vom Modell "diskursiver Verhandlungen" (David Kettler) und hervorgegangen aus mehreren Tagungen, Workshops und Projekten (Bard College/N.Y., Marbach, Hartford/CT, Mainz, Klagenfurt), versammelt der vorliegende Band Fallstudien und Dokumente, die neben prominenten Stimmen wie Thomas Mann und Anna Seghers wichtige Netzwerker wie Robert Neumann, aber auch Publizisten, Medienpioniere sowie das Musikexil mit Bruno Walter zu Wort kommen lassen.